von Gerhard Matzat
(erstmalige Veröffentlichung 1971)
Jeder, der sich dafür interessiert hat, weiß schon: 1921 wurde ich in
Ragnit an der Memel geboren. Um es manchen leicht zu machen, die seit
Jahrzehnten immer die gleichen Fragen stellen: ja, es stimmt - ich habe
einen großen Teil meiner Kindheit in Ostpreußen auf unendlichen Wiesen
zwischen Pferde- und Rinderherden verbracht. Dort, wo das würzige Gras
wuchs, welches unsere Kühe wahrscheinlich in mehr als Vorzugsmilch
umsetzten; denn daraus wurde der unvergleichliche Tilsiter Käse gemacht.
(Eine Imitation ist trotz weltweiter Bemühungen bis heute nicht
gelungen: für manche Dinge gibt es eben nur Ersatz).
Damit mich auch diejenigen verstehen, die eine moderne Ausdrucksweise
bevorzugen: Es waren jene Memelwiesen, Produzenten des wegen seiner
hohen Qualität über den lokalen Bereich hinaus bekannten Grasmaterials,
welches den dortigen Konsumenten - den Rindern nämlich - ermöglichte,
selbst als Produzenten zu agieren. Sie erstellten (meist als
sattlagernde Kühe auf den Weiden liegend) jenes, schon seit Urzeiten
bekannte, Milchprodukt für den menschlichen Konsum. (Worte wie
PRODUKTION und KONSUM waren allerdings unseren Rindviechern auf den
Memelwiesen fremd. Sie produzierten - pardon! - sie lieferten trotzdem
täglich ihr Produkt, das wir schlicht Milch nannten)...
Die Schule besuchte ich bis zur sogenannten Unterprima - für das Abitur blieb mir keine Zeit...
Vor dem derzeitigen "Arbeitsdienst" bewahrte mich der Besuch der
Königsberger Kunstakademie. (Das war für mich kein Verlust: an
körperlicher Arbeit hatte ich mich schon als Kind auf dem Grundstück
meiner Eltern und bei Verwandten, die Bauern waren, gewöhnt)...
Vor dem Militär konnte einen die Akademie nicht bewahren. So kam es, dass ich Flieger wurde...
Soviel über mein Vor(frankfurterisches)leben.
Der Zwangsverpflichtung für den Bergbau (Dr. Gärtner vom
Hannoveranischen Landesarbeitsamt: "Das Vaterland, mein Lieber, braucht
Bergleute, nicht Künstler!") entzog ich mich durch Flucht in die
amerikanische Besatzungszone (so nannte man unser Gebiet in jener
Zeit)... Das war im Jahre 1946...
Professor Holzinger vom Städelschen Kunstinstitut werde ich immer
dankbar bleiben, weil er mir half, die Aufenthaltserlaubnis für die
Mainmetropole zu bekommen...
Von 1946 bis 1953 studierte ich an der Städelschule in Frankfurt, zuerst
bei Wilhelm Heise, einem der besten Vertreter des MAGISCHEN REALISMUS,
dann bei Georg Meistermann.
Von Professor Heise wusste ich, dass Frankfurt in alten Zeiten als
kunstnahe Stadt bekannt war. Die Bemühungen des neuen Kulturdezernenten,
diesen Ruf wiederzuerlangen, sind beachtenswert.
Kürzlich wurde ich gefragt: "Was hat Ihnen Frankfurt gegeben?"
Das ist schwer in einem Satz zu sagen. Auf alle Fälle: viel Freude,
Ärger und - einige Einsicht. Freud und Leid aufzuzählen, würde hier zu
weit führen...
Also: Im Laufe der 25 Jahre habe ich beobachtet, wie schwer es in dieser
Stadt Künstler haben, die keine Schau veranstalten, die es nicht
lieben, "Wind und Rummel zu machen"... Wer aber nach 10 oder 20 Jahren
Frankfurt von sich sagen kann, er habe sich hier nicht verkauft, hat
sehr viel erreicht.
Was kann man mehr tun als arbeiten und seine Arbeiten zeigen?
Das begann
1950 mit Ausstellungsbeteiligungen in Frankfurt und Hamburg
1952 in Wiesbaden und Düsseldorf
1953 in Frankfurt
1954 bis 1955 illustrierte ich Reiseberichte in der FAZ
1955 stellten der Bildhauer Hans Christof Krause und ich zum ersten Mal
im Kurhaus von Bad Homburg vdH aus. Es machte uns Freude, unsere
Arbeiten einmal in einer anderen Umgebung zu sehen (so folgten später
dort noch vier Ausstellungen)
1956 Frankfurt und Bad Homburg
1957 So lernte ich den Maler Seippel kennen: "Mensch, Matzat, willst net
in Moskau ausstellen?" Ich sagte zu und fuhr mit... Außer Moskau in
diesem Jahr Fulda und Frankfurt.
1958 Zu einer "Startausstellung" in Frankfurt lud mich der damalige
Leiter der Galerie am Dom, Hapson Steneberg, ein: "...ich habe dich in
den Arbeiten bei Frau Bekker und in Moskau als guten Maler
kennengelernt, auch sah ich im Sommer im Karmeliterkloster, dass du für
Frankfurt ein gutest Pferd im Stall bist..."
Das war die Ausstellung, seit der ich auch der Frankfurter Polizei bekannt bin: in ihrem Gewahrsam verbrachte ich die Nacht nach der Eröffnung. (Um meine Sammler nicht zu sehr zu erschrecken: die Kriminalpolizei entschuldigte sich am nächsten Tag höflich für den Übereifer ihrer Kollegen von der Ordnungspolizei - so gingen die zwei verschwundenen Amiautos wohl nicht auf mein Konto...)
ap und KEYSTONE veröffentlichen die ersten Fotos meiner SCHROTT'MENAGERIE.
Gottfried Hoster dreht einen Fernseh-Film über diese Arbeiten. (Etwas später erscheinen sie in einer Kino-Wochenschau.)
Im Frühjahr hatten Werner Seippel und ich Arbeiten von unserer Russlandreise im Nebbien'schen Gartenhaus in Frankfurt gezeigt. (Seitdem fungiert dieser Pavillion als Ausstellungsraum.)
1958 beteiligte ich mich noch an Ausstellungen in Santiago (Chile), Braunschweig, Bad Homburg und im Oberhessischen Museum in Gießen.
1959 bat mich der Maler Steneberg, dem Frankfurt die Organisation der Ausstellung DER BEITRAG DER RUSSEN ZUR MODERNEN KUNST anvertraut hatte, bei der Vorbereitung und beim Aufbau zu helfen. (Viele haben lange Zeit von dieser Ausstellung gesprochen - andere haben gar nicht mitbekommen, welchen Beitrag Frankfurt damit dem internationalen Kunstleben geleistet hat.)
...
Ausstellungsbeteiligung: Hamburg, Bad Homburg, Copenhagen.
In den Fünfziger Jahren wuchsen Freundschaften, die mir das Theater nahebrachten. Es ist schmerzlich, dass so viele gute Kräfte, wertvolle Menschen, Frankfurt verlassen haben.
1961 Beteiligung in Frankfurt, Caen, Bad Homburg.
Nicht vergessen werde ich den Aufbau der Mansouroff-Ausstellung in diesem Jahr in der Galerie am Dom. Der Arbeit folgten Diskussionen bis tief in die Nächte hinein. Monsouroff schien keine Müdigkeit zu kennen (ebenso Christof Krause und sein braver 2CV, die beide wochenlang Tag und Nacht selbstlos zur Verfügung standen) ...
1962 Ausstellungen in Tours und Paris. Ende des Jahres in Offenbach/M zu ersten Male u. a. einige Exemplare aus der SCHROTT-MENAGERIE.
1963 mache ich eine Ausstellung im FRANKFURTER KLEINEN RESISTENZ-THEATER. (Zeitungsüberschrift: "Matztat im kühlen Keller")...
1964 hat mich Frankfurt nicht oft gesehen (wegen mehrerer unvergessener Fahrten in die Provence, nach Berlin und Moskau)...
1965 Von der Stadt Frankfurt zu einem Wettbewerb für ein größeres Wandprojekt aufgefordert. (Bedauerlicherweise geht mein Entwurf - eine weit abstrahierte Komposition für ein Mosaik aus den Wappen der alten Stadtteile Frankfurts - nach der Jury verloren und taucht nicht wieder auf...)
Professor Grzimek gibt mir den Auftrag für ein Mosaik, das auf dem Messegelände für den Zoo werben soll. Es wird im Frühjahr 1966 aufgestellt.
AWA II (Holzschnitt)
1966 erhält Aviette Rogoshina, die ich 1957 in Moskau kennenlernte und 1965 geheiratet habe, ein Visum für die Bundesrepublik.
Mit Freunden machen wir eine Reise nach Jugoslavien und planen dort die Ausstellung JÖRN KUNDE ZEIGT MATZAT. (Schließlich, so meinte J.K., könne es nicht schaden, einmal einen größeren Überblick über die Arbeiten der letzten Jahre zu geben. Seine Studentenbude sei dafür geeignet, fügte er bescheiden hinzu - und wer die Ausstellung später gesehen hat, gab ihm recht.)
In jener Zeit begann in dieser Stadt das kulturelle Leben gar seltsame Blüten zu treiben... Ich bekam einen Anruf: "Matzat, Sie müssen unserem Verein beitreten. Fast alle sind schon dabei - auch der, der mit Farbeiern um sich wirft."
...
In einem Telefongespräch mit dem Kulturfunktionär X. bemerkte ich einmal: "Man könnte Bände schreiben über die hiesige Situation..." Darauf er: "Schreibe Se nur! Als geschriwwe!..." Seitdem sammle ich Material für eine Folge zum Thema: KURIOSUM KULTURELLES FRANKFURT...